Offensichtlich und doch tabuisiert - Statuskämpfe
Offensichtlich und doch tabuisiert - Statuskämpfe

Hierarchie und Status

Wir befinden uns in einem ständigen Überlebenskampf, dessen Ziel es ist, nicht abgewertet zu werden und vor allem nicht zu versagen. Was authentisches Erleben sein sollte, wird so irrational weil die Angst unterzugehen oder zu versagen, Menschen die Möglichkeit raubt mit den ursprünglichen Lebenskräften ganz unmittelbar in Kontakt zu treten..." Arno Gruen, 2015

 

"Feeling superior to others for any reason usually gives rise to rankism." R. W. Fuller

Statuskämpfe um einen akzeptablen Platz in der "geheimen" Rangordnung von Schulklasse oder Arbeitsteam, d.h. in einer Gruppe eigentlich "gleichwertiger" Mitglieder, sind ein gesellschaftlich stark tabuisiertes Thema. Ihr Ausgang hat für uns aber einen enormen Einfluß auf unser tägliches Wohlbefinden.

 

Täglich erfahren wir ein Machtgefälle im Umgang miteinander und nehmen dies für selbstverständlich.

Robert W. Fuller hat in den USA den Begriff "RANKISM" geprägt, welcher einen Mißbrauch von sozialer Macht meint. "Spiele" um Bedeutung und Einfluß unter Personen "unseresgleichen" gehen oft einher mit subtilen verbalen sowie nonverbalen Verhaltensweisen, wie ignorieren, meiden, schweigen, abweisendes oder geringschätziges verbales- und mimisches Verhalten zeigen.

 

Diese Verhaltensweisen, durchaus häufig völlig unbewußt, dienen dem Zweck den Wert der anderen Person zu verringern, um damit den eigenen Wert als "höher" stabilisieren oder etablieren zu können.

 

Statuskämpfe und soziale Rangordnung unter gleichwertigen Mitgliedern einer Gruppe sind fundamentaler Bestandteil unseres Alltags. Subtile unterschwellige Machtkämpfe, face to face oder in der Gruppe entscheiden darüber wer mehr an Respekt und Aufmerksamkeit gewinnt - wer sich als überlegener und bedeutender "fühlen" darf. 

 

Im sozialen Vergleich, durch die Wahrnehmung verbaler und nonverbaler Signale aus unserem Umfeld schätzen wir unseren Standort in Bezug auf unsere Stellung in der "heimlichen" Hierarchie unserer sozialen Gruppe ein. Rachel Simmons, Politologin und Frauenforscherin hat durch ihre einjährige Befragung von unterschiedlichsten Schulkassen in den USA, 2003, eben diese Vorgänge schon im Verhalten von Kindern und Jugendlichen, aller Altersstufen, eindrücklich und mit vielen O-Ton Beispielen geschildert (siehe oben Seite „Machtkämpfe bei Mädchen und Frauen").

 

Karl E. Dambach, langjahriger Lehrer an einer deutschen Berufsschule, weist darauf hin, dass die Schüler durch Kämpfe um die Gruppenstruktur einer Klasse, den Lehrern unzählige Unterrichtsstunden kosten (siehe oben Seite "Rangordnung in der Schulklasse").

 

Je nach unserer Stellung in der unterschwelligen Hierarchie einer Gruppe, ist unser Aktions- und Einflußradius mehr oder weniger stark eingeschränkt - erlangen wir mehr oder weniger Respekt, Anerkennung und Akzeptanz aus unserer Umgebung – mit damit einhergehenden Auswirkungen auf unsere Stimmung, unser Wohlbefinden und unser Selbstwertgefühl.

 

Nach Hans Peter Unger, 2008, empfinden wir, in unserer Leistungs- und Wissensgesellschaft, jene Situationen als besonders bedrohlich, die auf beruflicher und sozialer Ebene unseren Status gefährden und unsere Leistungskraft in Frage stellen. „Die Angst vor dem Statusverlust hat die Angst vor dem Säbelzahntieger abgelöst“, so H. P. Unger (2008, S. 75).

 

Unger erwähnt die Gesundheitswissenschaftlerinnen R. Wikinson und K. Picket die durch ihre Studien die These von der besonderen Bedeutung des Status für den Menschen untermauern konnten und aufzeigen, dass der größte Stressfaktor in modernen sozialen Gemeinschaften die Zunahme von Bewertungsdruck sei (siehe ebd. S. 76). Die Leistungsgellschaft, so Unger, gewähre viele Freiheiten, dafür sei jedoch die Angst nicht zu genügen unser ständiger Weggefährte.

„Wir müssen unser soziales Selbst schützen und darum auf alles achten, was unseren sozialen Status und die Wertschätzung durch andere gefährden könnte“ schreiben die Wissenschaftlerinnen Sally Dickerson und Margaret Kennedy von der Universität Kalifornien ( zitiert nach Unger, 2008, S. 76).

 

Dominanzgerangel anhand eines fiktiven Gespräch

Das Erleben von Status im Sinne von Dominanzerfahrungen und Unterlegenheitsgefühlen ist in der Regel eine Erfahrung, deren möglicherweise enormer Einfluß auf unser tägliches Erleben wir gar nicht überblicken, welche aber, erstaunlicherweise, in der soziologischen sowie psychologischen Forschung bisher wenig Beachtung fand. In welchem Ausmaß und in welch subtiler Vorgehensweise Statuskämpfe alltäglich stattfinden, demonstrieren in ihrem nachfolgenden Kommentar, sprachlich auf klare Weise, wie ich finde, die östereichischen Universitätsprofessoren Johannes M. Lehner (Managementforschung) und Walter O. Ötsch (Kommunikationswissenschaftler) in ihrem Buch "Jenseits der Hierachie", 2015 (Seite 20 und 21) durch ein fiktives, durchaus belangloses, Gespräch zwischen drei Frauen:

 

Frau X: „Gestern hatte ich ein schlimmes Erlebnis. Ich war mit einem Kunden im Restaurant. Als ich auf die Rechnung wartete, habe ich mich auf einmal so komisch gefühlt. Als ob ich ohnmächtig würde.“

 

Frau Y: "Gestern? Da hätte ich auch gerne in einem guten Restaurant gegessen. In der Kantine war es wieder einmal ungenießbar!

 

Frau Z: "Ich weiß, was du meinst. Mir geht es auch manchmal so merkwürdig. Vor einem Monat war es besonders extrem..."

 

Komentar:

Die drei Frauen reden in höflichem Ton, ein scheinbar friedliches Gespräch. Aber gleichzeitig versuchen sie die ganze Zeit, ihr soziales Gewicht auf Kosten der anderen zu erhöhen. Frau X beginnt mit einem Hochstatus-Zug: Ein interessantes Ereignis wird berichtet. Y blockt ab und wischt das beiseite. Z macht ein noch aufschlussreicheres Statusmanöver: Sie geht auf Y nicht ein (wertet sie also ab), sondern antwortet auf X und verleiht ihr damit ein größeres Gewicht. Aber im nächsten Satz positioniert sie sich über die beiden: Jetzt schildert sie das viel bemerkenswertere Erlebnis, dem die Aufmerksamkeit aller zu gelten hat. Satz für Satz, Geste für Geste ändert sich die Waage im subtilen Statusspiel: Jeder gibt vor freundlich zu sein, und alle sägen am Stuhl der anderen.

 

Hoch- und Niedrigstatus

Keith Johnstone, Erfinder des modernen Improvisationstheater, hat den Begriff des „Hoch- und Niedrigstatus“ geprägt.

 

Nach K. Johnstone, 2010, fänden Statushandlungen ununterbrochen statt. Jeder Tonfall, jedes Heben und Senken der Stimme, jede Bewegung, jede Handlung vermittele Status. Keine Handlung sei grundlos oder zufällig. Hinter allem stände die geheime Taktik bzw. der Zweck den eigenen Status zu erhöhen. Dies sei uns jedoch in der Regel nicht bewußt. Vielmehr seien wir so geprägt, oder es sei irgendwie "verboten" Statushandlungen als solche zu erkennen bzw. wahrzunehmen.

 

Jedoch seien wir alle Statusexperten, ohne dies vielleicht zu wissen, so Lehner und Ötsch, Jenseits der Hierarchie, S. 21, und führen dies weiter aus:

 

"Wir besitzen feine Antennen die auf Dominanz- und Unterordnungssignale ausgerichtet sind. Meist reagieren wir automatisch auf Statusmanöver: Wenn uns jemand kritisiert, große ausholende Gesten macht, uns auf die Schultern klopft, sich abrupt abwendet, uns scharf mustert, in besonders teuren Klamotten auf den Plan tritt oder langsam und pointiert redet (alles Handlungen, die meist hoch positionieren), dann werden wir mit Sprache und Körper Antwort erteilen. Wir werden dem Versuch, uns direkt oder unmerklich "von oben" behandeln zu wollen, auf unsere Weise entgegnen - und sei es auch nur mit einem Stirnrunzeln, einem Achselzucken, einer etwas schärferen Rede - oder mit bewunderenden Blicken. Egal wie: Wir leisten unseren Beitrag im laufenden Statusspiel, und von seinem Ablauf hängt es nicht nur ab, wie wir uns fühlen, sonderen auch, welche Erfolge und Misserfolge wir erzielen." Die in diesem Zitat erwähnten Gesten von Statusmanövern sind keineswegs vollständig und zumeist auch in der Regel noch weitaus subtiler. 

 

Spiele der Macht

Marion Knaths, Unternehmensberaterin, schreibt in ihrem Buch „Spiele der Macht. Wie Frauen sich durchsetzen“ dass Frauen, gerade auch die die Karriere machen wollen im Berufsleben  oft mit ihren Argumenten nicht durchkommen, sie werden von Kollegen und Vorgesetzten häufig übergangen und nicht wirklich ernst genommen. Dies treffe zwar auch auf das männliche Geschlecht zu, aber Frauen seien von diesem Phänomen häufiger betroffen. M. Knaths sieht den Grund  in den ihrer Erfahrung nach völlig verschiedenen Kommunikationsstilen von Männern und Frauen. In der männlichen Kommunikation gäbe es eine Regel die alle anderen dominiert: die Rangordnung. Innerhalb der Rangordnung würde eher statusorientiert kommuniziert. Männer würden sich gegenseitig über- und unterordnen und stets bestrebt sein, sich nach unten möglichst abzugrenzen. (siehe S. 16) Dagegen suchten Frauen eher nach Verbindungen und Gemeinsamkeiten, Inhalte ständen im Vordergrund und es wäre ihnen nicht daran gelegen sich über- und unterzuordnen. „Das Streben nach Gemeinsamkeiten, das Vermeiden klarer Abgrenzung und klarer Über und Unterordnung steht im krassen Gegensatz zu dem Verhalten das die Rangordnung nach sich zieht. Es mutet simpel an. Aber die Folgen sind gravierend.“ Die gravierenden Folgen führten u.a. dazu, dass Frauen im oberen Topmanagement eine Seltenheit seien. Ebenso als Partnerinnen in Anwaltskanzleien oder z.B. als Professorinnen an Universitäten. Wollten Frauen wirklich Karriere machen, mit interessanteren,  verantwortungsvolleren Aufgaben betraut werden, ihre guten Ideen verwirklichen, bliebe ihnen nichts anderes übrig als dieses (männliche) Spiel um Dominanz und Status mitzuspielen.

 

Nummer eins, Nummer zwei, ...

Wie so ein Rangordnungsgerangel üblicherweise ausschaut verdeutlicht M. Knaths an folgendem Beispiel: Die Geschäftsführung möchte ein Problem übergreifend bearbeiten und ruft darum Personen verschiedener Abteilungen zusammen, in denen niemand einen höchsten Rang bekleidet. Die wenigen Frauen die dabei sind haben sich auf da Thema vorbereitet und haben interessante Lösungsansätze dabei die sie zeitnah vorbringen möchten. Jedoch ein „inhaltlicher Beitrag in der ersten Viertelstunde? Interessiert niemanden am Tisch. Ersteinmal muß die Rangordnung geklärt werden. Dazu wird getrommelt, posiert. Scheininhalte werden möglichst dominant präsentiert. Viele Frauen haben an dieser Stelle das Gefühl im falschen Film oder im Zoo zu sitzen.“ Erst wenn die Rangordnung geklärt ist, wenn es eine klare Nummer eins, Nummer zwei und so fort gibt, werde sich dem eigentlichen Thema zugewandt.

 

Soziale Rangordnung und Emotionen

Macht und Status seien oft mit heftigen Emotionen verbunden, so Lehner und Ötsch. 

 

Fühlen wir uns von anderen ausgeschlossen oder übergangen dann sehen wir unser Selbstwertgefühl bedroht.

 

Erleben wir uns von anderen getrennt und isoliert rufe dies die ungeheuer starke Emotion der Scham hervor.

 

Versagen in der Schule, Erfahrungen des Scheiterns im Job, erlebte Peinlichkeiten oder Unzulänglichkeiten im

 

Alltag führten dazu Scham und Schuldgefühle zu erleben.

 

Gerade das Gefühl der Scham sei jedoch eng mit Status und Statusspielen verknüpft.

 

Der Sozialpsychologe Paul Gilbert (zitiert nach Lehner und Ötsch, 2015) meint hierzu:

 

"Scham ist eine unfreiwillige Antwort auf das Bewußtsein, Status verloren zu haben und abgewertet worden zu

 

sein."  

 

Soziale Rangordnung in Zweierbeziehungen

Lehner und Ötsch, 2014, erwähnen eine Langzeitstudie des amerikanischen Familienpsychologen John Gottmann bei der 700 jüngst verheiratete Paare befragt wurden.

 

John Gottman konnte eine Methode entwickeln, in der nach nur 3 Minuten mit 84 %iger Wahrscheinlichkeit vorhergesagt werden konnte, ob die Ehe längerfristig von Dauer sein würde. Kriterium für kurze Ehen war Dominanzgebaren, oft einhergehend mit subtilen Anzeichen von Geringschätzung und Verachtung.

 

Der Partner wurde, so interpetiert dies Gottmann, auf eine "niedrigere Ebene" gestellt. Es ist eine Rangordnung zwischen den Ehegatten entstanden...

 

"Was ich bin, hat fast nichts damit zu tun, wer ich bin. Es hat vielmehr nur mit der Fehlbildung zu tun, wie jemand glaubt, erscheinen zu müssen, um Status und Macht gegenüber anderen zu behaupten. Folglich verwandeln sich Menschen in Wesen, die, wie Kierkegaard es so prägnant formulierte, völlig im Bann des Bedürfnisses nach Anerkennung von Leistungen stehen."  Arno Gruen 2013

Ausdrucksformen von Über- und Unterlegenheit

Die Erfahrung von Macht und Ohnmacht, Über- und Unterlegenheit äußert sich auf der Gefühls-, Körper-, Handlung- und Interpersonellen (zwischenmenschlichen) Ebene. Die Ebenen sind zur besseren Übersichtlichkeit so aufgeführt, jedoch nicht eindeutig voneinander getrennt und überschneiden sich häufig. 

Unterlegenheit und Unterwerfungserfahrungen können sich, in unterschiedlichem Ausmaß bzw. Ausprägung, wie folgt äußern:

Gefühlsebene:

Schüchternheit, Gefühle der Unsicherheit, Gehemmtheit und Verlegenheit bis hin zu Schamgefühlen, sich klein und unbedeutend fühlen, Irritation, Stimmung kann niedergedrückter sein, sich blockiert und unfrei fühlen.

 

Körperliche Ebene:

Erhöhtes Erleben von Stress, Anspannung, Herzklopfen, Unruhe, Erröten, Stammeln, Schwierigkeiten sich zu konzentrieren.

 

Handlungsebene:

Zurückhaltung, Gehemmtheit, der Ausdruck der eigenen Persönlickeit, der Ich-Ausdruck wird sowohl als eingeschränkt erlebt, als auch selbst zurückgenommen.

Erleben von eingeschränkter Handlungsmöglichkeit und Einfluß.

 

Interpersonelle Ebene:

Häufiges Erleben, dass der eigene Ich – Ausdruck, eigene Gesprächsbeiträge, Vorschläge usw. unbeachtet bleiben, bzw. ignoriert werden.

Erleben von Äußerungen verbaler oder mimischer Geringschätzung, Schweigen, Unfreundlichkeit bis hin zu abwertenden verbalen Äußerungen und Verhalten.

 

Nach Lukas Derks, zitiert von Lehner und Ötsch 2015, zeigen sich zudem häufig noch folgende Verhaltensweisen und Eigenschaften:

 

"Eine Neigung der Autoritätsperson zu gehorchen - manchmal auch wider Willen.

Noch stärker: Man erfährt die Situation mehr von der Warte der Autoritätsperson als von der eigenen, man fühlt denkt, sieht teilweise wie sie.

Eine Neigung der Autoritätsperson nur positives Feedbäck zu geben: Komplimente, Zustimmung, Lob. Furcht vor Zurückweisung oder Bestrafung durch die Autoritätsperson.

Eine Neigung das eigene unterwürfige Verhalten auf Eigenschaften der Autoritätsperson zurückzuführen." 

Kennzeichen von Überlegenheit:

Gefühlsebene:

Gefühle der Überlegenheit, des Selbstbewußtseins und Selbstvertrauens sowie Gefühle von Stärke und Macht, ein positives Selbstbild, Gefühl des erweiterten Einflußradius,

eher Gefühle der Zufriedenheit und des Wohlbefindens. "Man denkt sich groß" (Lehner und Ötsch 2015)

 

Körperliche Ebene:

Gelassenheit und Entspannung, körperlich eher Raum einnehmend und aufgerichtete Statue. Selbstbewußtes Auftreten, Blickkontakt, feste Stimme, usw.

 

Handlungsebene:

Gesteigerte Ausdrucksfähigkeit und kreative Entfaltung, Einfluß suchend und Einfluß nehmend, Raum einnehmend, "Freiheit im Handeln" (Lehner und Ötsch, 2015)

 

Interpersonelle Ebene:

Man erfährt eine überwiegend positive Zuwendung und Interesse an der eigenen Person, Bestätigung, Aufmerksamkeit und Anerkennung. Freundlichkeit.

 

Bei andauerndem positiven Feedback wagt es nach Lehner und Ötsch (2015) niemand mehr der der Person mit Hochstatus oder Autoritätsperson ein negatives Feedback zu geben:

 

"Wenn dies sich verfestigt: man erfährt die Situation nur noch von der eigenen Warte, die Gedanken und Gefühle der anderen spielen keine Rolle mehr.

Bei lang anhaltenden Beziehungen dieser Art: Man erfährt einen Mangel an Vertrautheit auf gleichberechtigter Basis, dies kann zu Desorientierung und Isolation führen.."